Hopper Mobility Verkehrsexperte Jochen Heller im Gespräch Jochen Heller ist Marktforscher im Bereich Mobilität. Er berät Verkehrsunternehmen und Kommunen – darunter München und Wien – sowie Ministerien in Deutschland und Österreich. Als Business Angel unterstützt Jochen Heller mehrere Startups, unter anderem hat er in Hopper Mobility investiert und unterstützt das Team durch Marktanalysen. Jochen Heller ist Marktforscher im Bereich Mobilität. Er berät Verkehrsunternehmen und Kommunen – darunter München und Wien – sowie Ministerien in Deutschland und Österreich. Als Business Angel unterstützt Jochen Heller mehrere Startups, unter anderem hat er in Hopper Mobility investiert und unterstützt das Team durch Marktanalysen. Im folgenden Interview spricht er über seinen Blick auf urbane Mobilität, welche Entwicklungen er sich für die Zukunft erwartet und warum er in Hopper Mobility investiert hat. Hopper Mobility: Was sind die Grundprobleme unseres aktuellen städtischen Verkehrs? Jochen Heller: Die Probleme hängen vom Blickwinkel ab. Man kann eine Verkehrswende so definieren: höchste Verkehrssicherheit, soziale Gerechtigkeit, weniger Lärm, überhaupt keine Abgase mehr, hohe Wohn- und Aufenthaltsqualität, Begrünung und Entsiegelung, Erhalt und Förderung der Nahversorgung, Verringerung der Zeitverluste vor allem im Wirtschaftsverkehr. Wenn man dieses Leitbild als Maßstab heranzieht, dann sind die Grundprobleme seit Jahrzehnten unverändert. Erstens: Pkw erhalten in den autogerechten Städten zu viel Platz. Weil aber in den Städten der Raum begrenzt ist, werden andere Nutzungen buchstäblich an den Rand gedrängt. Zweitens: Der öffentliche Verkehr konnte in den vergangenen Jahren Fahrgastzuwächse im Ausmaß des Bevölkerungswachstums der Städte verzeichnen. Er ist jedoch mit den Finanzierungsmöglichkeiten und der Investitionsgeschwindigkeit nicht in der Lage das Angebot stark genug auszubauen, um Autofahrten im spürbaren Ausmaß auf den Nahverkehr zu verlagern. Drittens: Der Ausstoß von Klimagasen im Verkehrsbereich ist bis zum Ausbruch der Coronakrise konstant hoch geblieben. Der Autoverkehr hat einen dramatischen Aufholbedarf, um die Klimaziele zu erreichen. HM: Vor welchen Problemen stehen Kommunen? JH: Maßnahmen mit breiter Akzeptanz, wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder günstigere Tarife, sind teuer. Vergleichsweise günstige und schnell wirkende Maßnahmen, wie eine Umverteilung des öffentlichen Raumes zulasten des privaten Pkw-Verkehrs und zugunsten des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs bzw. zugunsten der Aufenthaltsqualität, scheitern häufig am tatsächlichen oder befürchteten politischen Widerstand der Autolobby. Selbst wenn die Stadtpolitik guten Willen zeigt, so geht alles sehr langsam voran. HM: Vor welchen Problemen stehen Pendler und Verkehrsteilnehmer? JH: Man sollte sich zunächst klar machen, dass nur rund ein Fünftel aller zurückgelegten Wege Arbeitswege darstellen. Die meisten Wege finden zu Ausbildungs-, Freizeit- und Versorgungszwecken statt. In den Großstädten wird der überwiegende Teil der Arbeitswege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt. Die Pkw-Fahrten durch Pendlerinnen und Pendler umfassen daher nur einen relativ kleinen Teil des Verkehrsgeschehens. Pendlerinnen und Pendler stehen jedoch oft im Fokus, weil diese zu den besonders staugefährdeten Hauptverkehrszeiten unterwegs und besonders zeitsensibel sind. Vor diesem Problem stehen aber nicht nur die Autofahrer und -fahrerinnen – Stichwort überfüllte Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr, Gedränge auf den Radwegen und längere Ampelwartezeiten für Fußgängerinnen und Fußgänger zur Hauptverkehrszeit. Die Problemwahrnehmungen sind so heterogen wie die Bevölkerung, das jeweils genutzte Verkehrsmittel und der Wegzweck: Denken Sie an eine Alltagssituation mit einem zur Schule radelndem Kind, einem SUV-Fahrer unter Termindruck und eine gehbehinderte ältere Dame, die ihren Hund ausführt. HM: Wie wird sich urbane Mobilität entwickeln, welche Weichen sind schon gestellt? JH: Die Entwicklung wird von zwei grundlegenden Faktoren beeinflusst: Die meisten Kommunen haben ehrgeizige Klimaziele und möchten den Anteil des Autos am Verkehrsaufkommen sehr deutlich reduzieren. Die Städte setzen also nicht nur darauf, dass sich die Antriebstechnologien von Bussen, Lkw und Pkw zukünftig ändern, sondern möchten auch den Autoverkehr auf andere Verkehrsmittel, insbesondere den Radverkehr verlagern. Zweitens hat die junge urbane Generation bis etwa 35 Jahre eine geringere Autofixierung als die (männliche) Bevölkerung ab 60 Jahre. Sie sind in ihrer Verkehrsmittelwahl flexibler und werden wahrscheinlich zukünftig weniger das Auto nutzen als ihre Eltern- und Großelterngeneration. Unsicher ist, wie die zunehmende Verlagerung von Wegen in den virtuellen Raum – Onlineshopping, Onlinebanking, Onlinegaming, Videokonferenzen, Homeoffice usw. – zu einer Verringerung oder zu einer Verlagerung physischer Wege führt. Während der Corona bedingten Lockdownzeiten sind viele Menschen nicht mehr zur Arbeit gefahren, dafür aber zu Fuß „um den Block“ gelaufen, um wenigsten einmal am Tag rauszukommen. Gleichzeitig ist der Lieferverkehr in den letzten Jahren stark angestiegen. Auch über die Auswirkungen der Preisschocks durch den Ukrainekrieg kann ich nur spekulieren. Plausibel wäre, dass der kostengünstigere Radverkehr profitiert. HM: Gibt es Beispiele für urbane Mobilität an denen wir uns aus Ihrer Sicht orientieren sollen? JH: Es gibt Städte mit einem sehr hohen Fahrradanteil wie z.B. Münster. Dafür ist dort der ÖV-Anteil jedoch sehr gering. In der „Öffi“-Stadt Wien ist es genau umgekehrt. Auch die Verkehrsmittelnutzung in anderen europäischen Städten zeigt, dass sich der ÖV- und Radanteil gegenseitig „kannibalisieren“. Der Pkw-Anteil ist überall zu hoch, wenn man das Leitbild einer stadtverträglichen Mobilität mit den einleitend genannten Zielen vertritt. Urbane Mobilität ist ein komplexes System, das vor allem durch die Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur und in gewissem Maße durch die Mobilitätskultur der Bevölkerung geprägt ist. So ein System ist träge und lässt sich nicht beliebig schnell verändern. Es gibt also kein Patentrezept und auch keine Musterstadt, die als Vorbild für die Kommune XY dienen kann. Ein universelles Prinzip ist jedoch die Kombination aus Push- and Pull-Maßnahmen, d.h. Lenkungsinstrumente (z.B. Parkraummanagement) sollten immer mit Angebotsverbesserungen einhergehen und umgekehrt. Dieser Maßnahmenmix ist durch Öffentlichkeitsarbeit zu flankieren. HM: Welche Entwicklung wäre aus Ihrer Sicht darüber hinaus wünschenswert? JH: Ein Konsens über alle politischen und wirtschaftlichen Gruppierungen hinweg, dass eine Vielzahl flächendeckender Maßnahmen nötig ist, um eine vollständige Verkehrswende bis zum Jahr 2040 zu erreichen. HM: Welche Verkehrsformen sind notwendig, um die gewünschte Richtung einzuschlagen, welche Verkehrsformen werden in den kommenden 5 Jahren relevant(er) werden? JH: Die wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Rahmenbedingungen werden den Anteil aktiver Mobilität, d.h. Fuß- und Radverkehr steigen lassen. Innerhalb dieses Segments wird das Angebot weiter ausdifferenziert und neue Nischenprodukte insbesondere mit Elektromotorunterstützung entstehen. Bestehende Angebote wie E-Scooter, E-Bikes, E-Lastenräder werden weiter an Bedeutung gewinnen. Im Idealfall tritt ein sich selbst verstärkender Prozess ein: bessere Infrastruktur erhöht das Radverkehrsaufkommen. Dies ermutigt die Städte